Der ungebrochene Wunsch nach einer regressiven Korrektur der vorgefundenen Realität erweist sich als strategische Konstante der Malerei. Es folgt die Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf die künstliche Manipulation der heutigen Naturerfahrung, das Unbewußte, die Utopie des Nichts. Die Launenhaftigkeit wird zur bevorzugten Konsumhaltung. Als Warenfetischismus deklarierte Karl Marx die anziehende Fähigkeit eines Produkts, das uns durch den erwiderten metaphorischen Glauben über seinen Gebrauchswert oder Tauschwert hinaus zu interessieren vermag. Die Suggestion von Geborgenheit und deren Zerstörung bilden ein unentbehrliches und zugleich einträgliches Geschäft in der Welt der Computer- und Animationsspiele.
Manche mögen die Werke von Ellen Semen beängstigend finden. Diese Künstlerin scheint nicht nur die Magie aller technischen malerischen Mitteln zu beherrschen, sondern führt drastisch vor Augen, dass die meisten Staaten und Utopien ihre Entstehung letztendlich dem kindlichen Spiel verdanken. Im Umgang mit Bildern wird hier keinem Schauspiel narzisstischer Spiegelungen beigewohnt. Dennoch Kultur ist und bleibt konzeptuell in den Bildern von Ellen Semen. Die Leinwand, das Material, die Palette sind die Spielwiese gigantischer Horrorszenarien als Synonym von Chaos und Gewalt in den realen Alltagserfahrungen.
Die Attacken einer politisch aggressiven und handwerklich perfekten Künstlerin, die sich nicht den gängigen Konventionen des Marktes beugt. Die gefährliche banale Wendung sich nur der Provokation auszuliefern, wird rechtzeitig abgewendet. Den traditionellen Ausdrucksformen einer schönen heilen Welt wird der Garaus gemacht. Das Zusammentreffen von ProtagonistInnen aus verschiedenen Computer- und Animationsspielen formiert im Endspiel eine reductio ad absurdum und versprüht eine vibrierende Energie und dem Cartoon verwandte Vitalität.
Die Bilder von Ellen Semen tragen jene nüchterne Luminösität einer Aufklärung in sich, deren polierte Oberfläche und gleissenden Glanzreflexe in ein absurdes Universum übergleitet. Der explizit inszenierte und fiktionale Charakter des Arrangements verbirgt seinen erzählerischen Humor dort, wo die Inszenierungen der Imagination in den Bereich des Schreckens kippen. So begegnet man einer allegorisch figurativen Malerei, die unter den geschichtlichen Bedingungen einer Repräsentation der Darstellung ikonografische Zeichen des Computerzeitalters schafft. Kein Hinweis auf einen Gesturalismus oder andere offen gestaltete Argumente des Malerischen dringen hervor. Die soziale Präsenz einer zeitgenössischen Ambivalenz eines überpersönlich vorgetragenen Begehrens dringt durch Verfremdungsverfahren und die Gleichbehandlung verschiedener Bildressourcen an die Oberfläche. Ellen Semen fügt ein anonymes Bild der Massenkultur in Kombinationsfelder eines schrillen Aufeinandertrefffens. Unter umgekehrten Vorzeichen wird einer suggestiven Evidenzrhetorik Einhalt geboten.
Ellen Semens Bilder passen zu einer Medienkritik, die vor dem Horror einer kriegsbereiten Gesellschaft warnt. In ihren aktuellen Bildern thematisiert Ellen Semen die massenkulturelle Dauermobilisierung des Krieges. Wir kämpfen schon längst an allen möglichen Fronten den permanenten Kampf. Kriegszustand und die Massenkultur durchdringen einander gegenseitig, wie sich dies an Computerspielen nachvollziehen lässt. Der Balanceakt zwischen einer katastrophischen Bildsprache und einer äußerst sensualistischen Malerei schreibt sich in die Bilder ein. Laut Tom Holerts und Mark Teressidis Publikation 'Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert' sind Mobilität und Selbstverwirklichung bereits als kriegerische Normen zu betrachten.
Die Apocalpyse Now und Killerkid Symptome bilden eine verhängnisvolle Begleiterscheinung jeder Pseudonormalität. Die Aufforderungen und Anrufungen einer kriegerischen Massenkultur werden als allgegenwärtig aufgespürt. Der Wahrnehmung von zusammengesetzten Nichtorten folgt der Eklat. Die kriegerischen Konjunktionen erzeugen neue Subjekttpyen, die sich deren Imperative verinnerlichen. Ein fließendes Kriegskontinuum läuft einher mit sportlicher Fitness, ökonomischen Karrierismus und provoziert eine Kultur der Angst mit tendenziell paranoiden Verknüpfungen. Die fließende Subjektivität von Ellen Semens Bilder haben eines gemeinsam, nämlich das fiktionale in ein lebendiges Fluktuieren zwischen Erscheinen und Verschwinden zu involvieren.
Sexuell attraktive Mangafiguren und Pokemons bevölkern die Bilder. Wie in japanischen Trickfilmen üblich, greift Ellen Semen hier den Topos vom Geist in der Maschine auf, der das Zeitalter der Computer- und Animationstechniken aus der Perspektive der Netwar auf eine elektronische Allgegenwart bezieht. Die Horrorvision einer Verbindung von Mensch und Maschine steigert sich im Kultfilm der 80er Jahre Blade Runer bereits dahingehend, dass die die Grenzen zwischen Mensch und Roboter aufgelöst werden und die ProtagonistInnen zu Wesen mit Hyperspeed mutieren. Vom menschlichen Subjekt, das sich im reinen Informationsfluss auflöst, bleibt ein Impuls von Zeit und Bewegung, eine entgrenzte Kunst des Seins in Form postmoderner Science Fictions und Cyberpunks. Das Manga Comic und seine Trickfilmvariante Animé erfreuen sich mittlerweile auch in Europa bei den Cyberspace Freaks größter Beliebtheit. Der Hang zum Action Girl und seine rohe expressive Sexualität sind auch den Bilder von Ellen Semen gegenwärtig. Doch was sind die politischen Konsequenzen und wie entspannt sich dadurch die Haltung eines Objektstatus weiblicher Sexualität?
Die Verwandlung der ProtagonistInnen zu Kampfmaschinen lässt den jugendlichen naiven Charakter schwinden und ihre Unschuld zu Dämonen aus Feuer und Stahl verwandeln. Der japanische Kultfilm Ghost in the Shell (Geist im Panzer) ist ein gelungenes Beispiel für dieses zunehmend rasante Genres. Erzählt wird die Story einer Replikantin, die die Doppelrolle von Detektivin und Gesuchter verkörpert. Die Spur eines blasen Zweifels bewirkt, dass in den Bildern von Ellen Semen das Auge einen Raum absucht, in dem das Leben zugleich abenteuerlich und riskant wirkt. Ausgehend davon schwingt eine Dialektik der Eroberung und Enteignung in den Bildern mit.
Da ist der prismatische Raum, ein wirres Geflecht aus Gräsern, eine kampfbereite Mangafigur zwischen harmlosen Schafen, eine Waffe leuchtet blitzschnell auf und verliert sich in einer flüchtigen Bewegung, die zum Hinschauen zwingt. In dem Bild 'Viel Grün um Nichts' wird durch die semantische Verschiebung des Titels die Funktion der Syntax eine andere und für einen denotativen Gebrauch freigesetzt. Ellen Semen permutiert ihre Bilder durch amüsante Phrasierungen. Gleichzeitig greift sie ihre Zeichensysteme auf und vermag hinter ihrem spielerischen Gewordensein eine geschichtliche Dimension zu orten. Ellen Semen gelingt es, diese durch Recyclen und Re-Signifizieren, durch ein Verschieben ihrer bedeutenden Aspekten wieder in den Griff zu bekommen. Das formale Erkennen, der ihr innewohnenden Intertextualität setzt voraus, dass diese Zeichenverwendung im künstlerischen Kontext eben eine Ästhetische ist.
Ob sich hier nun eine dekonstruktive Leseart von Malerei entdecken läßt und dadurch jene Bilder propagiert werden, die zwischen Medien und Genres gleiten, gilt es zu klären. So weisen die Bilder von Ellen Semen am deutlichsten darauf hin, dass sie ihr Entstehen dem verdanken, was Michael Wetzel in Buch 'Die Wahrheit nach der Malerei' als ihre Materialität und Codes bezeichnet. So wird Ellen Semens Malerei konzeptuell von Medien wie der Computeranimation überlagert. Dabei läßt sich am eindringlichsten nachvollziehen, wie das ästhetische Paradigma der Malerei gekippt ist und durch ihre Materialität erfahrbar wird aus der vermeintlichen Spannung zwischen Computeranimation und Malerei. In deren Brüchigkeit sich der Kontrakt zwischen Bild und Wirklichkeit einklinkt. Nach wie vor klingt nach, dass Malerei niemals der Reproduktion, sondern der Transformation von Wirklichkeit dient. Am deutlichsten läßt dies erkennen, wie in der Malerei die Repräsentation durch die Information abgelöst wurde. Wie bereits der Medientheoretiker Marshall McLuhan proklamierte, kann die Malerei nicht durch ein neues Medium abgeschafft werden, sondern läßt sich zunehmend als strukturaler Zeichenträger charakterisieren.
Was sich nun als ein Aufstand der Zeichen gebärdet, läßt den morbiden Geschmack des Todes spüren in den sich das Spektakuläre mischt. Nun vermag man hier die Hypothese aufzustellen, dass sich die Travestie der Gewalt durch die Medien über den Ekel dieser kulturellen Lähmung hinwegtäuscht. Die vorgefundene Gleichzeitigkeit von Simulationsmodellen ist hier der Auslöser für ein Megaflash. Gegen die unmoralische Faszination von Kriegsspielen und seinem Theater der Grausamkeit folgt als Reaktion eine kollektive Verteidigung jeder Verführung. Ihre instabile Versuchsmatrix wird in eine kompositionelle Ordnung gefügt.
Ein weiteres Phantasma von Synthese und Verteidigung löst sich aus der Durchschlagskraft, deren weltweiten Wirkung zum Trotz gibt es in diesem System keine Unschuld. Die ProtagonistInnen folgen den Feuerstössen von Spezialkommandos und scheinen der heiligen Allianz jeder Produktion von Wahrheit zu trotzen und dabei paradoxerweise jenen Zyklus in Gang zu setzen, der ein Recycling der Wahrheit gegen den unauflösbaren Zyklus des Todes bewirkt. Zugleich kommt hier die Dimension einer Besetzung, Vernetzung und Abtragung der Sozialität durch Zeichen ins Spiel. So wird das Bild zu einem Vieleck von Zeichen und Medien - ein kodierter Decodierer von unzähligen Botschaften. Die Vergesellschaftung oder besser die Entgesellschaftung läuft heute über diese strukturale Ventilation quer durch die Codes. Die Austauschbarkeit der Elemente als radikale Revolten läßt in eine Wirklichkeit eintauchen, die nichts als virulente Animation - das Simulakrum eines Appells ist.